Lesepredigt für den Sonntag Kantate, 2. Mai 2021
Psalm 98
Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder. Er schafft Heil mit seiner Rechten und mit seinem heiligen Arm. 2 Der HERR lässt sein Heil verkündigen; vor den Völkern macht er seine Gerechtigkeit offenbar. 3 Er gedenkt an seine Gnade und Treue für das Haus Israel, aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes. 4 Jauchzet dem HERRN, alle Welt, singet, rühmet und lobet! 5 Lobet den HERRN mit Harfen, mit Harfen und mit Saitenspiel! 6 Mit Trompeten und Posaunen jauchzet vor dem HERRN, dem König! 7 Das Meer brause und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. 8 Die Ströme sollen in die Hände klatschen, und alle Berge seien fröhlich 9 vor dem HERRN; denn er kommt, das Erdreich zu richten. Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker, wie es recht ist.
Liebe Gemeinde,
manchmal frage ich mich, warum ich mir das antue: morgens lese ich die Zeitung und beginne den Tag mit „schlechten“ Nachrichten. Ich lese von Not und Elend in der Welt, von all dem Schlimmen, was Corona anrichtet, von Streit, von Tod und Mord und Krieg und Verletzung der Menschenrechte, von Überflutungen und Dürren. Und abends endet mein Tag mit dem heute-journal oder den Tagesthemen, die hauptsächlich von ähnlich schlimmen Dingen berichten.
Sicherlich ist es wichtig auch die schlechten Nachrichten zu hören und zu lesen. Es wäre schlimm, wenn uns das Elend anderer nichts mehr angehen würde. Auch die Entwicklungen in unserem Land, die die Gesellschaft spalten und die Demokratie zersetzen, müssen benannt werden, damit wir wachsam durchs Leben gehen. Dennoch legen sich diese vielen negativen Nachrichten auf das Gemüt und drücken uns nieder. Dass das Leben kein Ponyhof ist, weiß jeder. Aber diese Anhäufung von Negativem gibt uns keine Energie, um Missstände zu beseitigen. Sie verstärkt stattdessen das Gefühl der Resignation nach dem Motto: Ich kann ja doch nichts ändern. Ich weiß ja gar nicht, wo ich beginnen soll.
Wie anders ist da die Grundstimmung des Psalms. Er fordert die ganze Schöpfung zum Singen auf. Er fordert uns auf, Gottes Wunder in unserem Leben und in dieser Welt zu sehen und darüber ins Staunen und Loben zu kommen.
Er spricht von einem großen Fest: Mit Prozession, Liedern, Musik und Tanz wird ein Gottesdienst gefeiert, der seinesgleichen sucht.
Da braust das Meer und der Erdkreis. Da frohlocken die Ströme und selbst die Berge sind fröhlich. Ich habe noch nie fröhliche Berge und frohlockende Ströme gesehen. Aber das Gefühl, das mit diesen Worten zum Ausdruck gebracht wird, ist mir bekannt. Wenn man überquillt vor Glück und die Energie aus einem heraussprudelt, wenn die Freude überschäumt, dann hat man den Eindruck, dass sich alles mit einem mitfreut, selbst die Natur.
Ein riesiges Orchester wird aufgeboten mit richtigen Instrumenten, mit Mitspielerinnen und Mitspielern, die einen ganz eigenen gewaltigen Ton in das neue Lied einbringen. Harfen, Trompeten und Posaunen begleiten den Jubel. Pauken und Trommeln die in Israel bei Umzügen und Siegesliedern unentbehrlich waren. Das Widderhorn hatte seinen Platz als Signalinstrument und mit der Harfe begleitete man Danklieder. Alle diese Instrumente vereinigen sich zu einem vielstimmigen und lauten Chor, der den Gesang begleitet. Und das neue Lied hat nur einen Zweck, Gott zu erfreuen. Gott hat die Freude und das Entzücken geschenkt, die in der Musik zum Ausdruck drängen.
Der 98. Psalm besingt, dass Gott Recht schafft. Israel hat das Ende der Gefangenschaft im Exil in Babylon als Gottes Eingreifen in die Weltgeschichte erfahren. Der persische König Kyros hatte es dem Volk gestattet wieder nach Hause zurückzukehren. Und als der Tempel aufgebaut war, da erfüllte alle der große Jubel und Dank. Überhaupt verband das Volk Israel im Alten Testament seine ganze Geschichte mit dem Wirken Gottes. Sei es die Befreiung aus Ägypten, sei es die Erlösung vom Joch der Philister, sei es auch die Abkehr Gottes von seinem Volk, weil es sich nicht so verhielt, wie es Gottes Gebot und Willen entspricht. Für Israel wirkte Gott unmittelbar in seiner Geschichte und im Weltgeschehen.
Wir Menschen heute, denken da anders über Gott und sein Tun. Natürlich wirkt Gott in der Welt und in unserem Leben. Aber das Eingreifen Gottes in den Lauf der Welt wird heute nicht in der Unmittelbarkeit wahrgenommen, in der es der Psalm schildert.
Ich tue mich schwer mit dem Gedanken, dass Gott die Geschichte komplett lenken würde, da dieser Gedanke uns aus unserer eigenen Verantwortung herausnimmt. Gott hat uns mit Gaben ausgestattet, damit wir in dieser Welt in der Verantwortung vor Gott wirken. Unrecht und Ungleichheit ist aber nicht Gott gegeben, sondern von Menschen gemacht. Wir Menschen tragen die Verantwortung für Vieles, was Leben einschränkt und verhindert.
Dennoch können auch wir wie der Psalmist davon sprechen, dass Gott in unserem Leben Wunder getan hat und tut. Der eine erzählt vielleicht von Bewahrungssituationen. Da war der Unfall - und es ist praktisch nichts passiert. Da war - so hat er es empfunden - irgendwie Gott am Werk.
Die andere spricht vielleicht davon, wie Gott in ihrem Leben sozusagen Türen öffnete und andere schloss, als sie noch nicht wusste, wie ihr Berufsweg aussehen sollte. „Ich musste einfach nur noch gehen,“ so erzählt sie im Rückblick.
Da erinnert sich einer daran, wie er Kraft bekam in einer Krankheit, wo es nicht mehr weiter ging. Er wuchs über sich hinaus. Im Rückblick empfand er diese Erfahrung als Geschenk Gottes.
Wieder eine andere berichtet, wie leer Sie sich fühlte. Wie sie nach einem tragfähigen Sinn in ihrem Leben suchte und für sich erfuhr, dass der Glaube an Gott und sein „Ja“ gegenüber uns, ihrem Leben eine vollkommen neue Dimension gab, ein tieferes Verständnis und eine ganz andere Freude. In diesem Sinne können wir mit einstimmen in den Psalm: „Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder in unserem Leben.“
Ein neues Lied sollen wir singen. Das alte Lied, wer kennt es nicht, es ist das Klagelied. Das alte Lied, das ist das Lied, das um uns kreist, um unsere Sorgen und Probleme. Das alte Lied das ist unser Seufzen unter mancher Pflicht, unser Verzagen angesichts der Corona-Pandemie. Das alte Lied ist immer in Moll.
Das alte Lied muss seinen Ort haben. Wir müssen aussprechen können, was uns das Leben schwer macht, was uns bedrückt und belastet. Aber wir sollen nicht beim alten Lied stehenbleiben, sondern auch die Wunder Gottes in unserem Leben suchen: Wofür kann ich dankbar sein? Was trägt mich auch im Schweren?
Wenn wir so auf unser Leben schauen, kommen wir wahrscheinlich auch zum Loben, weil wir etwas von Gottes Kraft wissen, die in uns Schwachen mächtig ist.
Wir haben Grund Gott zu loben, weil er uns durch Höhen und auch Tiefen begleitet, hindurchgeführt hat und führt. Wir haben Grund, Gott zu loben, für seine Gnade und Barmherzigkeit, die jeden Morgen neu ist.
Darum: Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!
Das gilt auch am heutigen Tag. Gott segne Sie.
Ernst Schmidt