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5. Sonntag nach Trinitatis, 4. Juli 2021

Gott ist für mich wie …


Liebe Gemeinde,
wie ist Gott für mich? Das ist eine Frage, mit der ich mich als Pastorin professionell immer wieder beschäftigen muss und mag z.B. in der Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden, aber auch in dem ein oder anderen Seelsorgegespräch. Wie stelle ich mir also Gott vor? Wie bei vielen anderen Menschen ist es auch bei mir so, dass sich die Vorstellungen, die ich von Gott habe, im Lauf meines Lebens verändert haben und immer noch verändern: Als Kind habe ich wie so viele an den lieben Gott geglaubt, dessen nur Gutsein aber durch einige persönliche Erlebnisse in der Pubertät angezweifelt. Im Lauf meines Lebens wurde Gott für mich vielschichtiger, manchmal auch widersprüchlicher. Heute schätze ich Gott als Begleitung auf meinem Lebensweg, als Konstante in meinem Leben. Selbst wenn ich zweifle, weiß ich, dass Gott bei mir ist. Ich nutze Gott als persönliches Gegenüber für mein Beten. Und als Frau ist mir wichtig, dass Gott nicht nur der Herr und Vater ist und die männlichen Seiten Gottes benannt werden. Denn Gott ist auch Freundin, Weisheit, Hausfrau, Geisteskraft, Quelle: in meinem Reden von Gott schwingen weibliche Vorstellungen und Eigenschaften von Gott mal mehr mal weniger mit. 

Meine Vorstellungen von Gott ergeben kein einheitliches Bild. Da geht es mir wie den fünf blinden Gelehrten, die dem König erzählen sollten, was ein Elefant ist. Vielleicht kennen Sie die Geschichte: 

Die Blinden und der Elefant
Es waren einmal fünf weise Gelehrte. Sie alle waren blind. Diese Gelehrten wurden von ihrem König auf eine Reise geschickt und sollten herausfinden, was ein Elefant ist. Und so machten sich die Blinden auf die Reise nach Indien. Dort wurden sie von Helfern zu einem Elefanten geführt. Die fünf Gelehrten standen nun um das Tier herum und versuchten, sich durch Ertasten ein Bild von dem Elefanten zu machen. 
Als sie zurück zu ihrem König kamen, sollten sie ihm nun über den Elefanten berichten. Der erste Weise hatte am Kopf des Tieres gestanden und den Rüssel des Elefanten betastet. Er sprach: "Ein Elefant ist wie ein langer Arm." 
Der zweite Gelehrte hatte das Ohr des Elefanten ertastet und sprach: "Nein, ein Elefant ist vielmehr wie ein großer Fächer." 
Der dritte Gelehrte sprach: "Aber nein, ein Elefant ist wie eine dicke Säule." Er hatte ein Bein des Elefanten berührt. 
Der vierte Weise sagte: "Also ich finde, ein Elefant ist wie eine kleine Strippe mit ein paar Haaren am Ende", denn er hatte nur den Schwanz des Elefanten ertastet. 
Und der fünfte Weise berichtete seinem König: " Also ich sage, ein Elefant ist wie eine riesige Masse, mit Rundungen und ein paar Borsten darauf." Dieser Gelehrte hatte den Rumpf des Tieres berührt. 
Nach diesen widersprüchlichen Äußerungen fürchteten die Gelehrten den Zorn des Königs, konnten sie sich doch nicht darauf einigen, was ein Elefant wirklich ist. Doch der König lächelte weise: "Ich danke Euch, denn ich weiß nun, was ein Elefant ist: Ein Elefant ist ein Tier mit einem Rüssel, der wie ein langer Arm ist, mit Ohren, die wie Fächer sind, mit Beinen, die wie starke Säulen sind, mit einem Schwanz, der einer kleinen Strippe mit ein paar Haaren daran gleicht und mit einem Rumpf, der wie eine große Masse mit Rundungen und ein paar Borsten ist." 
Die Gelehrten senkten beschämt ihren Kopf, nachdem sie erkannten, dass jeder von ihnen nur einen Teil des Elefanten ertastet hatte und sie sich zu schnell damit zufriedengegeben hatten.

Diese Geschichte erzähle meinen Konfirmandinnen und Konfirmanden, wenn wir über ihre und biblische Gottesvorstellungen reden. Denn sie macht für mich sehr einleuchtend klar: jede und jeder erfährt Gott anders und stellt sich Gott daraus resultierend anders vor. Der eine als mächtigen König, die andere als heilende Ärztin, der nächste stellt sich Gott wie einen stabilen Fels, die nächste wie erfrischende Quelle vor. Alle diese Vorstellungen haben ihre Berechtigung und jede ist richtig. Und niemand kann und soll dem Gegenüber seine Gottesvorstellung absprechen oder aufoktroyieren. Nur aus der Fülle der menschlichen Gottesvorstellungen bekommen wir eine Ahnung, wie Gott sein könnte. Allerdings nur eine Ahnung. denn alles menschliche Reden von Gott ist nur vorläufig und immer nur ein Aspekt von vielen, durchaus unterschiedlichen Wahrnehmungen von Gott. Wie Gott wirklich ist, werden wir wahrscheinlich erst erfahren, wenn wir Gott in der Ewigkeit begegnen.

Mir sind drei Aspekte in Bezug auf unsere persönliche Vorstellung von Gott wichtig:  
1. In der Schöpfungsgeschichte steht, dass Gott den Menschen (nicht Mann übrigens) nach seinem Bild geschaffen hat. Und sofort entsteht durch Jahrhunderte alte Prägung in meinem Kopf das Bild des alten, weißbärtigen Mannes auf einer Wolke. Sieht Gott also aus wie ein Mensch? Ich denke nicht. Dieser uralte, biblische Schöpfungsmythos will erzählen, warum die Welt entstanden ist und nicht wie Gott aussieht. Und die Welt ist entstanden im Gegenüber zu Gott. Die Welt wird nicht einfach so geschaffen, und dann ihrem Schicksal überlassen. Nein, wir Menschen sind geschaffen in der Verantwortung Gott gegenüber. 

Das heißt aber nicht, dass Gott wie ein Mensch aussieht, denkt, spricht, handelt – glücklicherweise. Gott ist unser Gegenüber, aber nicht wie wir - auch nicht im Aussehen. Die biblischen Zeugnisse sprechen da ihre eigene Sprache: Gott ist alles, aber nicht festzulegen auf ein bestimmtes Aussehen oder Erscheinungsform. Unsere Vorstellungen von Gott in menschlicher Form entspringen unserem Bedürfnis, Gott vorstellbar und persönlich zu machen: ist Gott wie ein Mensch, dann bin ich gar nicht so weit weg von ihm. Dann kann ich leichter mir ihm reden, verhandeln, beten. Doch Gott bleibt unfassbar – in unserer Vorstellung wie auch in seiner Erscheinungsform. 

2. Gott wird unterschiedlich erfahren und unsere Vorstellungen werden nur selten erfüllt: Vielleicht erinnern Sie sich an manche biblische Geschichte, in der Menschen Gott begegnen und erst hinterher begreifen, dass sie da wirklich Gott begegnen. Jakob rang mit einem Fremden in der Nacht, später stellt sich heraus, dass er dort Gott begegnete. Mose trifft Gott in einem brennenden Dornbusch. Und Elia ist in einer Höhle und wartet auf Gott: es kommt ein Sturm, ein Erdbeben, ein Feuer – mächtige Zeichen, in denen Gott oft gesehen wird. Doch Gott begegnet Elia in einem sanften, leisen Flüstern. Gott begegnet uns in unerwarteter Art und Weise. 

Gott auf eine Form der Erscheinung zu begrenzen, bedeutet auch Gott zu begrenzen. Die Bibel ist voll von Geschichten und Texten von Menschen, die Gott erfahren und begegnen in je unterschiedlicher Art und Weise. Das macht das Reden und Vorstellen von Gott schwierig. Denn Gott lässt sich nicht auf eine bestimmte Form, ein bestimmtes Verhalten oder einen bestimmten Ort festlegen. Gott zeigt sich den Menschen so, wie Gott es will.

3. Ein letzter Gedanke, der mir bei allem Reden und Denken von Gott wichtig ist: Wir versuchen uns ein Bild von Gott zu machen, weil es dann einfacher für uns ist, von und mit Gott zu sprechen. Wir versuchen, Gott wahrzunehmen, zu erfahren, zu spüren, Kontakt aufzunehmen. Doch wir alle kennen diese Zeiten, in denen wir uns Gott so fern fühlen und die Zweifel an einer Existenz und einer Begleitung Gottes in unserem Kopf und unserem Herzen groß und manchmal auch laut werden. Ich erinnere an Jesus, der am Kreuz gequält aufschrie: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Diese Zweifel können uns verzweifeln lassen.

Aber ich vertraue darauf, dass Gott diejenigen nicht verlässt, die nach Anzeichen für Gott in ihrem Leben suchen, die um ihren Glauben an Gott ringen und sich mit ihm auseinandersetzen. Mose erzählte den Israeliten von „ich bin da“, und das Volk Israel erfuhr auf seiner langen Wanderung durch die Wüste, dass Gott tatsächlich immer da ist. Das Volk konnte einen Beweis für Gottes Anwesenheit immer sehen: die Wolkensäule bei Tag und die Feuersäule bei Nacht begleitete die Menschen. Gott ist immer da, immer nah, die Konstante unseres Lebens. Dass Gott so unbegreifbar und widersprüchlich ist, macht es uns manchmal schwer, Gott in unserem Leben zu entdecken. Und es macht es noch komplizierter, mit anderen über Gott zu sprechen, da unsere Erfahrungen so unterschiedlich sind. Doch auf eines können wir uns immer verlassen: Gott war immer war da, Gott ist immer um uns herum und Gott wird immer da sein.

Ich wünsche Ihnen alles Gute und Gottes Segen,

Ihre Pastorin Ulrike Kobbe