Lesepredigt zum Mitnehmen, 11.07.2021
Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen
Apostelgeschichte 5,29
Dieses berühmte Wort nimmt uns hinein in die Frühzeit der christlichen Gemeinde: Die Jünger Jesu, die nach seiner Auferstehung zu Aposteln („Gesendeten“) wurden, werden vom Hohen Rat, dem religiösen Establishment der damaligen Zeit, zur Rede gestellt.
Als sie befragt werden, warum sie trotz aller Mahnungen und Drohungen immer noch von Jesus erzählen, fällt dieser Satz: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“.
Damals wurden die ersten Christen wegen solcher Worte geschlagen und bedroht – aber auch selbstgerechte Gegner haben die Jünger dann lieber ziehen lassen. Weil hier eine Haltung spürbar wurde, die sich nicht einschüchtern ließ.
„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ In diesem kleinen Satz steckt eine ganze Weltsicht: „Gott ist Gott, der Mensch ist Mensch!“ So hat Martin Luther es ausgedrückt und behauptet, dass sei die „Summa“ aller Lehre von Gott, aller Theologie. Gott ist Gott, der Mensch ist Mensch – das war damals, als römische Kaiser sich als Gott verehren ließen, alles andere als eine Binsenweisheit. Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen - dieser Satz begrenzt alle Macht von Menschen und widerspricht allen menschlichen Versuchen, Gott zu spielen. Und im Zweifel muss man Gott mehr gehorchen als den Menschen. Alle menschlichen Ordnungen sind menschlich. Hinterfragbar und kritisierbar. Und wenn totalitäre Regime gottgleiche Autorität beanspruchen, dann ist das Götzendienst.
„Gebt Gott, was Gottes ist und dem Kaiser, was des Kaisers ist!“ – So hat Jesus es selbst gesagt. Da ist die Absage an jede totalitäre Ideologie schon angelegt. Johann Sebastian Bach hat es in seiner Musik ausgedrückt: „Allein Gott die Ehre!“
Gott kann das alles, wonach wir uns sehnen: Immer schon wissen, was gebraucht wird, unbegrenzt belastbar sein, das Ganze im Blick haben, der Liebe keine Grenzen setzen. Wir Menschen aber müssen miteinander sprechen, um uns zu verstehen, können nur begrenzt zueinanderstehen und auch die Kraft unserer Liebesfähigkeit ist begrenzt. Wer das missachtet, fängt an, sich etwas vorzumachen oder schlimmer noch: Sich aufzublasen.
Der Glaube an Gott lässt uns Menschen sein. Wer sich von Gott angenommen weiß, der kann sich in seiner ganzen Bruchstückhaftigkeit als Ebenbild Gottes annehmen. Der braucht sich nicht mehr aufzublasen und Gott zu spielen. Der muss auch andere nicht ständig klein machen, um sich selbst groß zu fühlen. Und der wird königlich unabhängig von Menschen: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen! Und was ist der Wille Gottes? Da ist die Bibel sehr deutlich: Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sind ihr roter Faden. Danach sollen wir uns ausrichten und danach auch unsere menschlichen Ordnungen beurteilen – die immer vorläufig sind.
Dieser Widerspruch gegen allen Allmachtswahn von Menschen hat die christliche Religion immer wieder in Bedrängnis gebracht, denn wer sich so beauftragt weiß, der lässt sich nur schwer instrumentalisieren von Ideologien und Heilslehren, die uns mit Haut und Haaren vereinnahmen wollen.
Heute leben wir in einer Demokratie. Volksherrschaft. Macht ist begrenzt und wird nur auf Zeit vergeben. Die Gewalten sind verteilt: Gesetzgebung, Gerichtswesen und Ordnungsmacht kontrollieren sich gegenseitig. Und hinter allem steht unser Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar! Den Menschen so zu sehen, nicht als Mittel zum Zweck, nicht als Humankapital, nicht als zu beherrschendes Objekt, das hat die biblische Sicht des Menschen zur Grundlage: Wir sind Ebenbilder Gottes, Gotteskinder. Unsere Würde ist unverlierbar, weil sie von Gott geschenkt ist. Wer sich so sehen gelernt hat, der wird kindlich abhängig von Gott und ein freier und aufrechter Mensch. Und kann, wenn es drauf ankommt, sagen:
Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!
Pfarrer Bodo Kaiser