Lesepredigt zum Mitnehmen
Predigt am 25. 7. 2021


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Der Antelope Canyon liegt im Südwesten der USA im Bundesstaat Arizona und gehört zu den größten Tourismusmagneten dieser Region. Dieser sogenannte „Slot Canyon“ besteht aus einer sehr engen, durch fließendes Wasser geschaffenen Schlucht. Vor allem in den Sommermonaten ergeben sich durch die von oben hereinscheinende Sonne sogenannte Beams, Lichtbündel, die vor allem in der Mittagszeit, wenn die Sonne hoch steht, oft für fantastische Farb- und Lichtspiele sorgen – wie es auf dem Bild zu sehen ist.

Diese Lichtspiele werden möglich durch die Risse und „Löcher“ im „Deckenbereich“ des Canyons. Was auf den ersten Blick wirkt wie ein Defekt und Mangel, wird zum Einfallstor für die Schönheit.

Der kanadische Poet und Sänger Leonard Cohen hat dieses Phänomen einmal auf sehr eindrückliche Weise in einem seiner Lieder besungen: There‘s a crack in everything – that‘s where the light comes in – frei übersetzt: „In Allem gibt es irgendwo einen Riss. Dieser Riss ist der Ort, durch den das Licht eindringen kann.“

Mit diesem kurzen Satz hat Leonard Cohen etwas vom Zentrum des Evangeliums ausgedrückt: Das Licht Gottes scheint nicht aufgrund von Makel- und Fehlerlosigkeit in unser Leben, sondern es erreicht uns durch die Risse und Brüche hindurch.

Immer noch wird der christliche Glaube von vielen Menschen als moralisches Regelsystem missverstanden. So wird dann auch der Wochenspruch aus dem Epheserbrief „Lebt als Kinder des Lichts!“ schnell missverstanden als eine Aufforderung, die sagt: „Bemüht euch, eure Fehler abzustellen und bessere Menschen zu werden!“ Natürlich ist dieses Bemühen nicht falsch, aber für sich alleine genommen führt es geradezu vom Evangelium weg.

Es geht ja gerade nicht um ein Licht, dass wir selbst erschaffen müssen, sondern um das „Licht des Herrn“. Dieses Licht kann gerade da erfahrbar werden, wo wir an unseren Idealen und Vorstellungen scheitern und mit eigenen Rissen und Brüchen konfrontiert werden und versuchen müssen, sie anzunehmen.

Auf meinem Lebensweg waren es in der Regel nicht die glatten und erfolgreichen „Lichtgestalten“, die mich beeindruckt und geprägt haben, sondern vor allem Menschen, die ihren Weg ehrlich und authentisch gegangen sind – ohne dabei die eigenen Brüche und Lebensrisse zu verschweigen. Es waren gerade die Risse und Brüche, durch die das Licht Gottes durchschien. Denn in der Begegnung mit diesen Menschen habe ich etwas davon spüren können, was es heißt, auf Gottes Gnade zu vertrauen.

Aber es gibt Risse, die so fundamental sind, dass nur Dunkelheit herrscht, dass keine Spur von Licht zu sehen ist. 

Möglicherweise ist der Riss so gewaltig, dass die Frage nach Gott gestellt wird. Wo warst Du? Wie kannst Du das zulassen?

Tausende Menschen, darunter auch die klügsten theologischen Köpfe, haben Antworten gesucht und nicht gefunden. Es bleibt immer nur bei Erklärungsversuchen.

Einer steht in dem Buch des amerikanischen Rabbiners Harold Kushner. Unter dem Titel „Wenn guten Menschen Böses widerfährt“ beschreibt er einfühlsam und sehr persönlich, wie viele der klassischen Antwortversuche sich für ihn als nicht tragfähig erweisen. Sein persönliches Fazit mündet trotz aller offenen Fragen im Vertrauen auf Gottes stärkende Kraft im Leiden. Er schreibt:

„Ich glaube an Gott, aber nicht mehr so wie früher, als ich heranwuchs. Ich bin mir der Grenzen Gottes bewusst geworden. Seine Grenzen liegen in den Naturgesetzen … Ich mache Gott nicht mehr verantwortlich für Krankheiten, Unfälle und Naturkatastrophen, weil ich klar erkenne, wie wenig ich gewinne und wie viel ich verliere, wenn ich Gott wegen solcher Dinge zürne.“

Gott verursacht nicht unser Unglück, schließe ich daraus. Manches Unglück ist Missgeschick, anderes wird von schlechten Menschen verursacht oder ist die Folge unseres Daseins in einer Welt der Naturgesetze. Die schmerzlichen Dinge, die uns widerfahren, sind nicht Bestrafung. Diese Erkenntnis fordert uns, nicht Gott. Wir müssen erkennen, dass wir versuchen müssen, aus Krisen und Chaos in irgendeiner Weise weiterzukommen.

Letztlich funktioniert jede Hilfe nach diesem Prinzip. Ihr Erfolg basiert auf dem gemeinsamen Eingeständnis: „Wir haben ein Problem. Wir sind nicht so vollkommen und leuchtend, wie wir es gerne wären. Unser Leben hat Risse. Aber im Schutz unserer Gemeinschaft wagen wir es, diese Unvollkommenheiten und Risse miteinander zu teilen.“ Immer wieder machen die Menschen dann die Erfahrung, dass im gegenseitigen Eingeständnis der eigenen Lebensbrüche und im Offenwerden vor Gott schon der erste Schritt zu einem Heilwerden steckt.

Ähnliches geschieht in jedem Gottesdienst, wenn wir im Sündenbekenntnis unsere Lebensrisse vor Gott bringen – und darauf vertrauen, dass sein Licht durch diese Risse hineinstrahlt und uns zu Kindern des Lichts macht. Denn: „In Allem gibt es irgendwo einen Riss. Dieser Riss ist der Ort, durch den das Licht eindringen kann.“

Und der Friede Gottes, der größer ist als all unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. 

Amen